Selbstorganisierte Siedler*innenbewegung und der Gemeindebau des Roten Wiens
Vortrag von Michael Klein
29.09.2016 20:30 Fabrique im Gängeviertel I Valentinskamp 34a, 20355 Hamburg I Anreise: U2 Gänsemarkt

Michael Klein (Wien): "Wenn heute Strategien gegen die Wohnungskrise entwickelt – und bisweilen vorschnell als utopisch abgetan – werden, bleibt ausgeblendet, dass die Geschichte eine Reihe durchaus erfolgreicher Strategien zur Begegnung der Wohnungsfrage kennt: etwa das Programm des Gemeindebaus im Roten Wien der 1920er Jahre. Noch weniger bekannt sind die informellen und selbstorganisierten Anfänge dieses Programms – die Wiener Siedler*innenbewegung. "


Wenn heute Strategien gegen die Wohnungskrise entwickelt – und bisweilen vorschnell als utopisch abgetan – werden, bleibt ausgeblendet, dass die Geschichte eine Reihe durchaus erfolgreicher Strategien zur Begegnung der Wohnungsfrage kennt: etwa das Programm des Gemeindebaus im Roten Wien der 1920er Jahre. Noch weniger bekannt sind die informellen und selbstorganisierten Anfänge dieses Programms – die Wiener Siedler*innenbewegung. Vor dem Hintergrund von Wohnungsnot, von Ressourcen- und Nahrungsmittelknappheit, verschärft durch eine enorme Migrationswelle während der Jahre des ersten Weltkrieges entwickelte sich ein rasanter, informeller Städtebau von Siedler*innen, die sich bald in Strukturen zur gegenseitigen Hilfe organisierten. Intellektuelle, Architekturschaffende, politische Aktivist*innen erkannten das emanzipatorische Potential dieser Bau-Praxis der Vielen und beteiligten und unterstützen die kollektive und genossenschaftliche Selbsthilfe: Otto Neurath beispielsweise in der organisatorischen Entwicklung; Adolf Loos oder Grete Lihotzky mit Modellen wie etwa dem „Haus mit einer Wand“; Vorschlägen für effiziente Planung, Selbstbau und gegenseitige Unterstützung, mit Subsistenz-Landwirtschaft und Wohnen. Klingt wie: Aravena meets Urban Gardening meets Alternative Eigentumsmodelle…

Die Wiener Geschichte zeigt: Die informelle Siedlerbewegung gab den Anstoß zu einem der, umfassendsten, entschlossensten und größten sozialen Wohnungsbauprogramme. Die Rolle, die man der Siedlerbewegung zudachte, blieb letztlich eine ambivalente: Sie wurde einerseits gefeiert und unterstützt und andererseits in die Strukturen des lokalstaatlich geplanten Gemeindebaus eingegliedert; und selbstbewusste Stadtproduzent*innen wurden in ihrer Praxis politisiert, fanden sich aber zugleich in einer passiven Position wohlfahrtsstaatlich versorgter Wohnraumkonsumenten wieder.

Michael Klein ist Autor von „Modelling Vienna – Real Fictions in Social Housing“ Turia+Kant 2015 und „The Design of Scarcity“, Strelka Press 2014


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